Die Entwicklung des Begriffs Sprachbund in der Balkanlinguistik

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Inhaltsangabe > 3. Ergebnisse der Balkanlinguistik > 3.1 Die Balkanismen > 3.1.2 Kategorisierung und Gewichtung der Balkanismen >

3.1.2.1 Lexikalische, phonologische und morhologisch-syntaktische Balkanismen

Eine unterschiedliche Gewichtung der Balkanismen lag schon bei Kopitar vor, wenn er die grammatischen Übereinstimmungen als Beweis für die Verwandtschaft der albanischen und rumänischen Sprache höher bewertete als die lexikalischen:

Daß aber ihr nichtlateinischer Bestandtheil der illyrischen (heut zu Tage albanesischen) oder doch einer mit dieser sehr nahe verwandten Sprache angehört, zeigen nicht allein viele Wörter dieser Art, die diese beyden Sprachen [Albanisch und Rumänisch, sc.] mit einander gemein haben, sondern mehr noch, und eigentlich entscheidend, der gleiche grammatische Bau. (S. 253)

Es ist wohl nicht zuletzt Kopitars Formel von "einerley Form, dreyerley Materie", die nachfolgende Sprachwissenschaftler inspirierte, und sie vermehrt nach grammatischen Übereinstimmungen suchen ließ. Miklosich beispielsweise sah in Ihnen "Das alteinheimische Element" der Balkanhalbinsel (S. 6).

Sandfeld behandelt die "mots d'emprunt" und die "concordances en dehors du lexique" zwar ebenfalls getrennt, in erster Linie allerdings aus praktischen Gründen:

Il nous a paru le plus expédient de traiter les mots d'emprunt à part [...] Dans la plupart des cas on peut décider avec plus de sûreté de la provenance d'un mot d'emprunt que de celle de tel phénomène d'ordre syntaxique. L'examen des mots d'emprunt des langues balkaniques donnera donc la mesure de l’action qu’elles ont exercée les unes sur les autres et servira en quelque sorte de base pour juger des influences nonlexicales. (S. 15)

Auch Trubetzkoy trifft eine Unterscheidung in lexikalische, phonologische, morphologische und syntaktische Übereinstimmungen aus methodischen Gründen, um zur Identifizierung der sprachlichen Übereinstimmungen unterschiedliche Herangehensweisen für unterschiedliche sprachliche Teilsysteme aufzuzeigen (vgl. 4.1.2 Definition der Übereinstimmungen).

Im Hinblick auf die Definition des Begriffs Balkansprachbund degradiert Birnbaum die lexikalischen Balkanismen dagegen deutlich, wenn er schreibt:

Selbst wenn sich z.B. gewisse türkische Lehnwörter außer im Serbokroatischen auch noch in anderen Balkansprachen wiederfinden, was selbstverständlich häufig der Fall ist [...], so wird solchen lexikalischen Gemeinsamkeiten dennoch bloß relativ geringe bzw. nur ergänzende Bedeutung als sprachbundbildenden Merkmalen beizumessen sein. (S. 43)

Aber auch die "etwaigen Ähnlichkeiten im Lautsystem einzelner oder mehrerer Balkansprachen [spielen] für die Konstituierung eines balkanischen Sprachbundes nur eine untergeordnete Rolle" (S. 18). Anders Schaller, der die Balkanismen nach der Eigenschaft "sprachbundbildend" in folgende zwei Gruppen unterteilt:

1. Sprachbundbildende Gemeinsamkeiten der Balkansprachen, die sich auf den lautlichen, morphologischen und syntaktischen Bereich erstrecken [...]
2. Gemeinsamkeiten der Balkansprachen, die sich auf den lexikalischen Bereich beziehen und nicht als sprachbundbildend angesehen werden können (1975, S. 123)

Ergänzend fügt er allerdings hinzu: "Da die noch zu behandelnden Lehnwortbeziehungen der Balkansprachen aber ein wichtiges Merkmal dieser Sprachen sind, müssen sie auf jeden Fall ein Gegenstand der Balkanphilologie sein [...]". (ebd) Im Hinblick auf den Begriff Balkansprachbund, mit dem sowohl Birnbaum als auch Schaller arbeiten, ist die Erforschung der Lehnwortbeziehungen allerdings absolut zweitrangig geworden.

3.1.2.2 "Makro-", "Mikro-" und "systematische" Balkanismen >