Die Entwicklung des Begriffs Sprachbund in der Balkanlinguistik

HTML-Version, © 2000 / 2005 by Jörg Kruse

Zur Haupt-Navigation

Inhaltsangabe > 3. Ergebnisse der Balkanlinguistik > 3.2 Erklärungsmodelle >

3.2.2 Periodisierung

Bei der zeitlichen Einordnung der Entlehnungsvorgänge zwischen den Balkansprachen bietet sich folgendes Verfahren an:

1. das Erstellen einer absoluten Chronologie durch Auswertung datierter Sprachdenkmäler der betreffenden Sprachen. Diese Denkmäler fehlen für den Zeitraum bis zum 14. bzw. 15. Jahrhundert für die albanische bzw. die rumänische Sprache.

2. bei fehlenden Belegen aus der betreffenden Zeit Rekonstruktion der Entlehnungsvorgänge und Erstellen einer relativen Chronologie. Das Albanische bereitet hier größere Schwierigkeiten als das Rumänische, das mit dem Lateinischen eine gut belegte Vorläufersprache aufweist.

3. die Zuordnung geschichtlich relevanter Daten zu undatierten Entlehnungsvorgängen. Ein für die Balkanlinguistik relevantes Datum ist beispielsweise die slavische Landnahme auf der Balkanhalbinsel im 6. Jhdt.

Die Beleglage der Balkansprachen ist auch ein gewichtiger Faktor in Seidels Periodisierung zur Geschichte der Balkansprachen. Die erste Periode ist bestimmt durch das Griechische und der (angenommenen) Substratsprache(n):

Die erste Periode ist die Vorgeschichte, in der der balkanische Sprachbund noch nicht bestand, einer Zeit, in der wir Vorstufen finden, wie z. B. Vermeidungen von Infinitivkonstruktionen im NT. und früher. [...] die vorhandenen Reste thrakischer, dakischer, illyrischer, altmakedonischer Sprachen sind für die Erhellung moderner Sprachzustände noch unverwertbar. (S. 123)

Schaller, der eine ähnliche Einteilung vornimmt (1975, S. 196 /197), verweist auch auf die Rolle des Lateinischen:

Mit dem Vorhandensein eines griechischen und eines lateinischen Adstrats, der Herausbildung der südslavischen Balkansprachen waren die Voraussetzungen für die Entstehung der zahlreichen Übereinstimmungen gegeben. (S. 197)

Die zweite Periode nach Seidel ist der Zeitraum der Konvergenz der Balkansprachen und "beginnt mit der Herausbildung der spezifischen balkanischen Züge, verfolgbar nur im Bulgar. und im Griech." (S. 123) Die ersten Sprachdenkmäler des Rumän. und des Alban. dagegen zeigen diese beide Sprachen schon als vollentwickelte Balkansprachen. Seidel beginnt (wie Schaller) diese Periode mit der Jahrtausenwende.

Die dritte Periode ist das Abklingen der balkanischen Einheit, seit dem 19. Jh. beginnend, im 20. Jh. verstärkt. Die Nationalsprachen entwickeln sich in eigenständiger Fortentwicklung überkommener Balkanismen. (S. 124)

Nach Schaller beginnt die Periode „der Abschwächung der Balkanismen“ bereits mit dem 17. Jhdt. (ebd.).

Die zweite Periode nach Seidel war sicher die entscheidende für die Herausbildung der Balkanismen. Georgiev zählt nun die erste noch hinzu, nicht nur im Hinblick auf griechisches und lateinisches Adstrat, sondern auch hinsichtlich verschiedener Substrate, und kommt zu folgendem Ergebnis:

au cours de trois millénaires s'est formée cette remarquable communauté linguistique que nous appelons union linguistique balkanique. Toutes les langues balkaniques, les mortes et les vivantes, ont contribué plus ou moins à l'établissement de cette union. (1968, S. 14)

Einen Zeitraum von 3000 Jahren für die Herausbildung des Balkansprachbundes anzusetzen, mag etwas überzogen sein. Man muss sich aber gewahr sein, dass die Entwicklung der verschiedenen strukturellen Balkanismen in verschiedenen Einzelsprachen auch zu unteschiedlichen Zeitpunkten einsetzte und auch unterschiedliche Zeitspannen beanspruchte. Dies zeigen die einzelsprachlichen Ausprägungen der Balkanismen und die Sprachdenkmäler des Griechischen und des Bulgarischen (vgl. 3.1.3 Einzelsprachliche Ausprägung der Balkanismen).

3.2.3 Außersprachliche Faktoren >