Die Entwicklung des Begriffs Sprachbund in der Balkanlinguistik

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Inhaltsangabe > 2. Balkanlinguistik und Sprachbundforschung: historischer Überblick >

2.1 Entwicklung der Balkanlinguistik bis Sandfeld

Schon der schwedische Gelehrte Thunmann beschrieb 1774, eineinhalb Jahrhunderte vor Sandfeld, kulturelle und geschichtliche Gemeinsamkeiten der Albaner und der "Wlachen", aufgrund dessen er als Begründer der Balkanologie angesehen wird. Die Affinität der beiden Völker erklärte er mit ihrer gemeinsamen Herkunft: "Sie [die Albaner] sind Nachkoemmlinge der alten Illyrier, so wie ihre Nachbarn die Wlachen [...] Kinder der Thracier sind" (S. 240) und es sei "wahrscheinlich, daß beide Völker mit einander verwandt gewesen, daß sie sich mit einander vermischt [...]" (S. 254). Was die Sprachen der beiden Völker anbelangte, konnte er nur einen Vergleich auf lexikalischer Ebene erstellen ("da ich sie [die Sprachen] nicht grammatisch kenne", S. 175): "ueber siebenzig Wlachische Woerter kommen mit eben so vielen Albanischen ueberein [...]".

Der Slavist Kopitar nahm die unvollendete Arbeit Thunmanns wieder auf und fand bei einem Textvergleich der Parabel vom verlorenen Sohn in der Fassung der serbischen, bulgarischen und albanischen Sprache sowie dreier rumänischer Dialekte nicht nur lexikalische, sondern auch grammatikalische Übereinstimmungen. Dies veranlasste ihn zu der für seine Zeit sehr moderne Aussage:

So daß also, noch bis auf diese Stunde, nördlich der Donau in der Bukowina, Moldau und Walachey, Siebenbürgen, Ungern, ferner, jenseits der Donau, in der eigentlichen Bulgarey, dann in der ganzen Alpenkette des Hämus, in der ausgedehntsten alten Bedeutung dieses Gebirges, von einem Meere zum andern, in den Gebirgen Macedoniens, im Pindus und durch ganz Albanien nur eine Sprachform herrscht, aber mit dreyerley Sprachmaterie. (S. 253)

Der Slavist Miklosich führte Kopitars Werk fort und erstellte 1862 erstmals eine Liste von "sprachliche[n] Erscheinungen, die auf das alteinheimische Element zurückgeführt werden zu sollen" (S. 6). Einen vorläufigen Abschluss fanden die Arbeiten auf dem Gebiet der Balkansprachen mit dem Erscheinen von Sandfelds linguistique balkanique. Dies aus zwei Gründen: zum einen stellte Sandfeld in seinem Buch, das lange Zeit als das Standardwerk der Balkanlinguistik angesehen wurde, erstmals die damaligen Forschungsergebnisse in bezug auf die Balkansprachen zusammen; zum anderen förderte Sandfeld mit seinem Buch die Ausgliederung der Balkanlinguistik als eigenständige Disziplin, deren Forschungsobjekt die "unité linguistique" der Balkansprachen sei (S. 6).

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