Die Entwicklung des Begriffs Sprachbund in der Balkanlinguistik

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Inhaltsangabe > 4. Die Sprachbundtheorie > 4.2 Spätere Ergänzungen zu Trubetzkoys Definition > 4.2.2 Die Erklärungsmodelle >

4.2.2.1 Neuerung vs. Konservierung ererbter Merkmale

Wie wir unter 4.2.1 gesehen haben, kann nach Josephs Definition (2) ein Balkanismus auch generell als Neuerung gegenüber dem Proto-Indo-Europäischen definiert werden. Dieser Definition entsprechen allerdings nicht alle Übereinstimmungen zwischen den Balkansprachen, die ansonsten als Balkanismen gelten, so z. B. der Vokativ auf –e im Rumän. / Bulgar. / Griech. Georgiev führt diese Gemeinsamkeit auch auf eine – seitens des Rumän. - nicht erfolgte Divergenz zurück: "Disparu dans toutes les autres langues romanes, le vocatif latin en –e est conservé en roumain car il a été appuyé par l'existence du même morphème en bulgare et en grec." (1968, S. 10) Nach Georgiev sind sowohl das "Développement d'élements morphologiques et syntaxiques identiques, semblables ou parallèles" als auch die "Conservation de morphèmes identiques ou semblables […] les traits les plus typiques de l'union linguistique" (ebd.).

Die o.g. Gleichsetzung von Balkanismen als gemeinsam durchgeführte Neuerungen mag auf dem ersten Blick als durchaus plausibel erscheinen. Wichtig für die Abgrenzung eines Sprachbundes sind jedoch nicht allein gemeinsame Konvergenzerscheinungen der Sprachen sondern die daraus entstandenen Unterschiede zu den Sprachen außerhalb des Sprachbundes. Diese Unterschiede können auch dadurch bewirkt werden, dass die Sprachen eines Sprachbundes an einer divergenten Entwicklung außerhalb des Sprachbundes nicht teilnehmen. Im Gegenzug trägt eine konvergente Entwicklung der Balkansprachen nur dann zur Abgrenzung eines Sprachbundes bei, wenn diese Entwicklung in angrenzenden und verwandten Sprachen nicht stattfindet (vgl. hierzu auch Zitat von Birnbaum unter 4.2.3.1 Genetische vs. areale Verwandtschaft).

4.2.2.2 Unilaterale Beeinflussung der Sprachen? >