Die Entwicklung des Begriffs Sprachbund in der Balkanlinguistik

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Inhaltsangabe > 4. Die Sprachbundtheorie > 4.3 Pro und contra (Balkan-)Sprachbund >

4.3.3 Grundsätzliche Kritik am Begriff Sprachbund

Grundsätzliche Kritik an dem Begriff Sprachbund übte Weinreich, der die Klassifizierung von Sprachen für ein ungeeignetes und problematisches Verfahren hält, das Phänomen der Konvergenz zu erfassen:

Yet although the phenomenon is familiar, the term "Sprachbund" is admittedly unsatisfactory. Its fundamental fault is that it implies a unit, as if a language either were or were not a member of a given Sprachbund. But of course a grouping of this sort has no specific a priori criteria; a group of geogreaphically continuous languages may be classified at a Sprachbund ad hoc, with respect to any structural isogloss. (S. 379)

Statt dessen solle man auf die Begriffe "convergent development" oder "convergence areas" zurückgreifen.

Reiter macht dagegen auf einen "circulus vitiosus" (S. 13, Anm. 18) aufmerksam, dem die Sprachbundtheorie aufgesessen ist:

Der grundlegende Irrtum, auf dem der "Sprachbund" basiert – und deshalb taugt der Begriff nichts – besteht [...] darin, als verbundstiftend eine abhängige Variable, nämlich das Produkt, und nicht denjenigen Faktor anzusetzen, der das Produkt dirigiert, also letzten Endes – die Gesamtheit. Es ist ein schwerer logischer Fehler. Er besteht darin, das Nachgeordnete in die Voraussetzung hineinzuprojizieren. Dieser Fehler macht sich dann auch dadurch bemerkbar, daß er zu zwei Begriffen der "Balkanität" führt. Der erste – und korrekte – ist geographisch, also räumlich determiniert. Er stellt die Maßgabe zur Auswahl der Objekte dar und gehört zur Voraussetzung. Der zweite ist praktisch determiniert und wäre korrekt nur solange, wie damit nichts anderes gemeint ist als die Beschaffenheit des Produkts, wird diese zweite "Balkanität" aber zur Definition des Sprach-bundes herangezogen – und das ist ja geschehen, wie man sich überzeugen kann, so ist das eine Projektion der zweiten, nachgeordneten in die erste, vorgeordnete "Balkanität". (S. 13)

Zirkulär war die Balkanlinguistik allerdings schon in ihren Anfängen. Die Balkansprachen, die Kopitar als solche entdeckt hat, waren für seine Nachfolger zugleich Gegenstandsbereich ihrer sprachwissenschaftlichen Untersuchungen, in denen sie anhand neu entdeckter Balkanismen in eben diesen Sprachen, Kopitars Klassifizierung bestätigten. Sprachen, die noch nicht als "balkanisch" geadelt waren, hatten es umso schwerer in den Club der Balkansprachen aufgenommen zu werden, zumal die Merkmale, die sie aufwiesen, und die dazu beigetragen hätten, eine Aufnahme in denselbigen Club zu ermöglichen, noch gar nicht intensiv untersucht wurden, eben weil sie noch nicht als "balkanisch" qualifiziert waren...

Dies ist allerdings ein Problem, das die Balkanlinguistik mit so manch anderer Wissenschaft teilt.

4.3.4 Sprachbund als Stufe der Sprachmischung >