Die Entwicklung des Begriffs Sprachbund in der Balkanlinguistik

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Inhaltsangabe > 3. Ergebnisse der Balkanlinguistik > 3.2 Erklärungsmodelle >

3.2.3 Außersprachliche Faktoren

Die Entlehnungsvorgänge, die die Entstehung der strukturellen Balkanismen zur Folge hatten, setzten einen intensiven Sprachkontakt voraus, sei es im Sinne der Substrat-, oder im Sinne einer Adstrat-Hypothese. Welches sind nun die äußeren Umstände, die diesen Sprachkontakt förderten?

Wie bereits in 3.2.1.2 (Griechisches und lateinisches Adstrat) beschrieben, geht Sandfeld von einer "dominante Stellung" der griechischen Sprache gegenüber den Nachbarsprachen aus. Diese sprachliche Dominanz leitet Sandfeld aus der kulturellen Dominanz der (byzantinischen) Griechen ab:

à l'exception des Turcs, les peuples des Balkans, continuateurs des traditions byzantines et restés depuis plus de mille ans sous la domination de l’église grecque, ont fini par faire un monde à part dont l'homogénéité se manifeste de beaucoup de manières dans les croyances populaires, dans la littérature populaier, dans les us et coutumes, etc. (S. 4/5)

und eben in der Sprache, wie er in seinem Buch zu beweisen sucht (vgl. meine Ausführungen in Kapitel 3.2.1.2). Sandfeld steht in bester Tradition, wenn er versucht, die Stellung des griechischen Adstrats mit historischen politischen Verhältnissen zu erklären (so die Dominanz der griechisch-orthodoxen Kircher auf dem Balkan). Auch Thunmann und Kopitar bemühten sich vor allem mit geschichtlichen Daten ihre Erklärungsmodelle zu untermauern, allerdings mit anderen Vorzeichen als Sandfeld. Nachdem er einen ausführlichen Überblick über die Eroberungen der Römer gegeben hat, schreibt Kopitar zur Romanisierung der dakischen Sprache:

Es liegt in der Sache, daß die Eroberers auch unter den Besiegten, - nach Umständen schneller oder langsamer, mehr oder weniger -, sich verbreite. Bei Roms Eroberungen ward aber diese Natur der Sache noch durch planvolle Politik unterstützt: die wichtigsten und vorteilhaftesten Punkte der eroberten Länder mit römischen Kolonien besetzt, überall römische Gesetze und Verwaltung eingeführt, alle Länder mittels noch jetzt bewunderter Kunststraßen verbunden. (S. 251)

Nach politischen und kulturellen Gründen wurde in der Balkanlinguistik dann v.a. auf soziokulturelle Faktoren verwiesen, die einen intensiven Sprachkontakt zwischen den Balkanvölkern begünstigten, inbesondere die Transhumanz (v.a. rumänischer Wanderhirten). Hierzu schreibt Seidel:

Der Nachweis regelmäßiger Hirtenwanderungen [...] wird den ausgedehnten Bilinguismus auf der Balkanhalbinsel verständlich werden lassen [...] Es handelt sich bei den Hirtenzügen nicht um das Zusammentreffen nationaler Minderheiten mit Sprechern einer vorrangigen Staatssprache. Viel eher muß man an eine Art "lingua franca", an die Herausbildung von Hilfssprachen denken, die zum Bilinguismus führte und im Zusammenhang damit zur konvergenten Entwicklung der Balkansprachen. (S. 124)

Daraus folgert er für die Balkanlinguistik: "Es ist abwegig, nach Substraten zu suchen, die unerkennbar sind; untersucht werden müssen die Adstrata des Bilinguismus durch das Hirtenwesen." (ebd.)

3.3.1 Die "klassischen" Balkansprachen >