Die Entwicklung des Begriffs Sprachbund in der Balkanlinguistik
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Inhaltsangabe > 4. Die Sprachbundtheorie > 4.2 Spätere Ergänzungen zu Trubetzkoys Definition >
4.2.1 Die sprachlichen Merkmale (Balkanismen)
Nach Joseph gibt es mindestens vier verschiedene Möglichkeiten, den Begriff Balkanismus zu definieren, nämlich als:
(1) Any similarity between/among Balkan languages
(2) Any similarity between/among Balkan languages that is an innovation vis-à-vis their common ancestor language (in this case, Proto-Indo-European)
(3) Any similarity between/among Balkan languages that is due to language contact
(4) Any similarity between/among Balkan languages that is unique to the Balkans (S. 247)
Anmerkungen:
(1) ist sicherlich, geht man von Trubetzkoys Definition aus, zu weit gefasst. Joseph weist selbst zurecht darauf hin, dass in solch einem Fall auch jede (aus dem Indogermanischen) ererbte Gemeinsamkeit und jede Universalie als Balkanismus zählen müsste (ebd.).
(2) gegenüber Trubetzkoys Definition werden die Balkanismen diachron betrachtet. Vgl. hierzu 4.2.2.1 Neuerung und Konservierung ererbter Merkmale
(3) der Sprachkontakt lässt sich direkt nicht nachweisen, als ein wichtiges Indiz hierfür wird die Benachbarung der Sprachen angesetzt. Vgl. hierzu 4.2.3.2 Benachbarung der Sprachen.
(4) ist so eng definiert, dass es praktisch keinen Balkanismus geben kann, vgl. hierzu 4.2.1.1 Exklusivität der Balkanismen.
Steinke definiert den Begriff Balkanismus folgendermaßen:
Beim Balkanismus handelt es sich:
1. um einen gemeinsamen ähnlichen Zug der Balkansprachen, der
2. in allen Bereichen der Sprachen anzutreffen ist, der
3. nicht zum indogermanischen Erbgut gehört, der
4. geographisch gesehen, in einer für den Balkanraum typischen Häufung vorkommt, der
5. sich gewöhnlich nicht synchronisch, sondern nur diachronisch richtig erkennen läßt und der
6. vom jeweiligen Sprachsystem adaptiert wird. (1976, S. 32; sowie 1999, S. 80)
Anmerkungen:
Punkt 1. ist identisch mit der Defintion (1) bei Joseph, wird bei Steinke allerdings durch die Punkte 2. bis 6. eingeschränkt.
Punkt 2. und 3. entsprechen insofern der Definition Trubetzkoys, als dieser die Übereinstimmungen des Sprachbundes in allen Bereichen, nämlich den Sprachsystemen, definierte und sie von den Übereinstimmungen der Sprachfamilie, also dem gemeinsamen Erbgut, deutlich unterschied.
Die Punkte 4. bis 6. tragen den empirischen Ergebnissen der Balkanlinguistik Rechnung:
Punkt 4. erinnert an Sandfelds Definition der "concordances générales en dehors du lexique" (vgl. Unterkapitel 3.1.4 Verbreitung der Balkanismen). Es bleibt allerdings offen, was Steinke genau mit einer "für den Balkanraum typische Häufung" meint.
Punkt 5. lässt sich – genau wie Definition (2) bei Joseph - als Abwendung von Trubetzkoy verstehen, der die Übereinstimmungen noch rein synchron definierte.
Punkt 6. nimmt Bezug auf die unterschiedliche Ausprägung der Balkanismen in den einzelnen Balkansprachen (vgl. 3.1.3 Einzelsprachliche Ausprägung der Balkanismen)