Die Entwicklung des Begriffs Sprachbund in der Balkanlinguistik
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Inhaltsangabe > 3. Ergebnisse der Balkanlinguistik > 3.3 Die Balkansprachen >
3.3.3 Gewichtung der Balkansprachen und ihrer Dialekte
Auch die dialektale Differenzierung der Balkansprachen löste ein grundsätzliches Problem der Sprachbundtheorie nur unzureichend: Einige Sprachen bzw. Dialekte weisen mehr Balkanismen auf als andere, was eine Zuordnung zum Balkansprachbund schwierig macht. Wie in 3.3.1 (Die "klassischen" Balkansprachen) beschrieben, entdeckte Kopitar zwei der fünf grammatische Übereinstimmungen des Rumän./ Alban./ Bulgar. auch im Neugriechischen und Serbischen. Sandfeld dagegen, ich greife seine von mir in 3.3.1 zitierte Aussage nochmals auf, stellte das Griechische, das er als Ausgangspunkt der Balkanismen ansah, mit den drei Kernsprachen gleich: "Il s'agit en premier lieu du grec, de l'albanais, du bulgare et du roumain"; das Serbokroatische sah er nicht im gleichem Maße als Balkansprache an: "souvent aussi du serbo-croate", während das Türkische "par contre n'entre plus ici en ligne de compte", da es an den "concordances générales" nicht beteiligt ist.
Die Frage, ob nun eine Sprache dem Balkansprachbund angehöre oder nicht, lässt sich also nicht eindeutig mit ja oder nein beantworten. Schaller versuchte dieses Problem dadurch zu lösen, dass er die Sprachen drei (bzw. vier) verschiedenen Gruppen zuordnete:
1. Balkansprachen "ersten Grades", d.h. die Häufigkeit der Balkanismen ist in diesen Sprachen so hoch, daß sie als "Kernsprachen" des Balkansprachbundes bezeichnet werden müssen, das geographische Gebiet entsprechend als das "Kerngebiet" der Balkansprachen. Zu dieser Gruppe von Balkansprachen sind Albanisch, Bulgarisch, Mazedonisch und Rumänisch zu rechnen.
2. Balkansprachen "zweiten Grades", d.h. Sprachen, die bereits in die Randzone des Balkansprachbundes gehören. Hierzu sind das Neugriechische und das Serbokroatische zu rechnen.
3. Sprachen des Balkans, die keine Gemeinsamkeiten mit den Balkansprachen aufweisen, nämlich Türkisch, während Slowenisch und Ungarisch mit ihrem Sprachgebiet bereits außerhalb der Balkanhalbinsel liegen. (1975, S. 103)
Das "Kerngebiet des Balkansprachbundes" sieht Schaller als den "Ausgangspunkt der Balkanismen" (ebd.). Zudem verfeinert er sein Modell noch, indem er auch nach Dialekten differenziert. Bei dem Torlakischen handelt es sich demnach um einen "Balkandialekt 'ersten Grades'", bei einigen Mundarten im Norden Rumäniens dagegen um "Balkandialekte 'zweiten Grades'" (1975, S. 104ff).